SOUNDFORM – INSTRUMENTE FÜR ALLE: DIE ZUKUNFT DER MUSIK IST INKLUSIV
Ein Beitrag von Angela Müller-Giannetti zur Veranstaltungsserie SOUNDFORM von EUCREA im März 2019
Vom 20.03.-22.03.2019 beschäftigte sich erstmals eine Veranstaltungsreihe im deutschsprachigen Raum mit dem Schnittfeld von Instrumentenentwicklung und Inklusion. In Hamburg wurden bestehende und neue Entwicklungen auf dem Instrumentenmarkt – vom klassisch-analogen bis zum digitalen Klangerzeuger - präsentiert und erprobt, wie diese mehr Möglichkeiten für Menschen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen bieten können, musikalisch kreativ zu werden. Inspiriert durch die aus dem englischsprachigen Raum stammende Bewegung der „Accessible Musical Instruments“ lud der Verband EUCREA Designer*innen, Programmierer*innen, Instrumentenbauer*innen, Musiker*innen sowie Musikveranstalter*innen und -vermittler*innen aus den Niederlanden, Finnland, Irland, Großbritannien, Schweden, Spanien und Deutschland ein. Präsentiert wurden Konzepte, Entwürfe und Prototypen bis hin zu auf dem Markt erhältliche Instrumente. Dass Forschung in Praxis münden kann, zeigte die Beteiligung zahlreicher Entwicklungsabteilungen an Universitäten, wie die der Aalto University (Helsinki), der Goldsmiths University (London), der Queen's University (Belfast) und der Universitat Pompeu Fabra (Barcelona).
Rund 700 Gäste besuchten die dreitägige Veranstaltungsreihe, die sich an unterschiedlichste Zielgruppen wandte: In die Hochschule für Musik und Theater lud EUCREA in Kooperation mit dem Hamburger Konservatorium und dem inklusiven Hamburger Musikerprojekt barner16 (alsterarbeit gGmbH) am Vormittag Schüler*innen aus verschiedensten Hamburger Schulen ein, diverse analoge und digitale „barrierearme Instrumente“ kennenzulernen und auszuprobieren, angeleitet von den Aussteller*innen sowie Hochschul-Studierenden des Seminars von Michael Huhn "Schulmusik und Inklusion". Hier wurde deutlich: Egal welchen Alters und welcher Fähigkeit – die Kinder waren vom musikalischen Experimentieren, die diese Instrumente teilweise ohne musikalische Vorerfahrung ermöglichen, begeistert. Schon in der Anmeldephase war das Interesse groß und die Veranstalter*innen musste den Besuch vieler Interessenten aus Kapazitätsgründen ablehnen. Der Nachmittag wendete sich an die Hamburger Öffentlichkeit, an interessierte Familien sowie Musikpädagog*innen und Musikvermittler*innen mit einer Fortbildungsveranstaltung des Landesinstituts für Lehrer*innenbildung.
Am 21./22.03. fand ein internationales Symposium statt, das sich hauptsächlich an die musikalische Fachwelt wendete. Hier präsentierten Instrumentenbauer*innen und Universitäten ihre neuesten Entwicklungen und erprobten Anwendungsmöglichkeiten in der inklusiven künstlerischen Praxis. Das Symposium verfolgte das Ziel, neue Schnittstellen zwischen Instrumentenentwickler*innen (Designer*innen, Programmierer*innen, Hersteller*innen) sowie den Nutzer*innen, Musiker*innen mit und ohne Beeinträchtigung, Konzerthäuser, Musikvermittler*innen und Musiktherapeut*innen herzustellen. Im Rahmen von zwei abendlichen Konzerten konnten Musiker*innen mit unterschiedlichen Behinderungen vermitteln, welche künstlerischen Möglichkeiten sich aus den vorgestellten Instrumenten ergeben können und welche Bereicherung die Musikwelt durch den Einsatz dieser Instrumente erhalten kann.
Accessible Instruments: Von analog bis digital
Im Rahmen der Veranstaltungen wurde das ganze Spektrum „barrierearmer Musikinstrumente“ präsentiert. Die englische Organisation OHMI (The One-Handed Musical Instrument Trust) aus Birmingham zeigte überzeugend, wie klassische analoge Instrumente so verändert werden können, dass sie beispielweise einhändig bis zur Meisterleistung anwendbar werden, wie die Onehand Flute oder das One handed Saxophone.
Eine Synthese zwischen klassischen Instrumenten in Kombination mit digitaler Technik präsentierte der Musiker John Kelly (London). Der „Kellycaster“ – ein individuell mit und für Kelly entwickeltes Instrument von DRAKE Music London – wurde in Form und Funktion an eine Gitarre angelehnt. Kelly, der seine Arme nur eingeschränkt bewegen kann, präsentierte seine eigenen Rock-Popkompositionen, in dem er die Seiten des Kellycaster anschlägt, während eine App Akkorde und Noten steuert.
Ruud van der Wel und Karin van Diejck (Rotterdam) präsentierten u.a. eine Flöte (Magicflute), die nicht nur durch den Atem sondern auch durch Kopfbewegungen gespielt wird.
Ferner wurden Instrumente gezeigt, die sich in Form und Anwendung vom klassischen Streich-/Zupf-/Blas- oder Tasteninstrument in Gänze unterscheiden. Cas van Son (Eindhoven) zeigte den JamFlow, ein Instrument, das intuitiv gespielt wird und schon Musikanfänger*innen die Möglichkeit vermittelt, die komplexe Erfahrung einer „Jam“ zu machen. Aber auch am Markt bereits erfolgreiche Anwendungen konnten entdeckt werden, um musikalischen Anfänger*innen oder bewegungseingeschränkten Menschen Zugang zu Musik zu ermöglichen: Ableton Push (Berlin) ist ein Tasteninstrument, das in Kombination mit der Software Ableton live seit langem von Musiker*innen und Sounddesigner*innen in der ganzen Welt eingesetzt wird und intuitive Zugänge zu Komposition ermöglicht. Makey Makey und Mogees sind softwaregestützte Sensoren, die Alltagsgegenstände in musikalische Instrumente verwandeln können.
Einen großen Stellenwert nahmen gestengesteuerte Instrumente ein, die ein Bewegungssignal von einer Kamera abnehmen und in Sound umsetzen. Der Soundbeam (Adrian Price/Bristol) ist ein solches Instrument: Zusätzlich zu den Bewegungen der musizierenden Person können vorgefertigte musikalische Settings durch kabellose Tasten angesteuert und gemixt werden. Der Motion Composer (Robert Wechsler/Chemnitz) generiert Töne und Klänge analog zu den Bewegungen der musizierenden Person. Augengesteuertes Musizieren ermöglicht die Open-Source-Software EyeHarp (The EyeHarpProject). Auch Midi-Controller ermöglichen es, unendlich viele Formen von Bewegung in Sound umzusetzen.
Inklusive Musikpraxis: Alles ist möglich, es muss nur getan werden
Das heute kein Mensch mehr von musikalischer Kreativität und Ausbildung ausgeschlossen sein muss, weil er die erwarteten körperlichen oder kognitiven Voraussetzungen nicht mitbringt, hat die Veranstaltung mehr als deutlich gemacht. Längst sind alle kreativen und technischen Potentiale da, um jedem Menschen seinen individuellen musikalischen Ausbildungswusch zu ermöglichen.
Es ist notwendig, dass diese Haltung in der Praxis der deutschen Musikschulen und der Schulmusik Eingang findet. Um diesen Schritt zu gehen, bedarf es vor allen Dingen zunächst mehr Information darüber, was alles möglich ist. Ferner fehlt es an überzeugenden Beispiele in allen Bereichen: In der musikalisch-künstlerischen Praxis müssen Anwendungsbeispiele gezeigt werden, wie neueste Instrumentenentwicklungen Musiker*innen unterschiedlichster Fähigkeiten sowohl das Musizieren in klassischen Ensembles und Orchestern, aber auch die freie künstlerisch-expressive Ausübung ermöglichen. Dazu sollte die Nutzung barrierearmer Instrumente in allen Bereichen der musikalischen Bildung einen festen Bestandteil im Instrumentensortiment bilden. Angehende Musikvermittler müssen die Instrumentarien kennen und professionell anwenden lernen. Digital-analoge Musikinstrumente sind nicht nur eine großes Potential um musikalische Kreativität zu entwickeln, sie können außerdem einen attraktiven Arbeitsmarkt für Musiker*innen mit Beeinträchtigungen ermöglichen, die diese Instrumente auf professionellem Niveau lehren und vermitteln können. Die Kulturpolitik ist aufgefordert, dieses Potential zu erkennen und mit infrastrukturellen Maßnahmen diese Bewegung zu unterstützen.
Die Zukunft: Musik ohne Grenzen
Barrierearme Musikinstrumente bereichern die Vielfalt musikalischer Anwendungspraxis – nicht nur durch die Erweiterung des Nutzerkreises. Gerade die Mischung analoger und digitaler Möglichkeiten bietet neue Gestaltungsräume für ein interessantes künstlerisches Crossover. Gestengesteuerte Instrumente verbinden Tanz, Performance und Klangentwicklung auf neue Weise. 3-D-Räume lassen virtuelle Welten zu musikalischen Klangräumen werden. Digitale Schnittstellen können kreatives bildnerisches Gestalten und Sound vereinen, wie die neueste Entwicklung von EUCREA und der Aalto University (sounding brushes) auf der Veranstaltung demonstrierte.
Musik ist ein visionäres Medium. Musikproduktion verbindet Menschen seit der Digitalisierung mehr denn je: Schon jetzt wird Musik international produziert, heruntergeladen, gesampelt, modifiziert. Musiker*innen beginnen, bisher bekannte Grenzen aufzuheben. Mobiltelefone werden schon bald in Konzerten eingesetzt, das Publikum kann sich musikalisch einbringen und es ist nicht mehr klar, wer im Raum Komponist*in und wer Zuhörer*in ist.
Dass Diversität in der Musik kreativ bereichert, ist lange bekannt. Es entstehen ganz neue Formen von Partizipation und in dieser musikalischen Gemeinschaft sollen Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen ein Teil sein.
Mehr Informationen zu barrierearmen Musikinstrumenten finden Sie hier....
Weiterführende Kontakte und Links hier....
Ein Projekt von EUCREA
in Kooperation mit barner16 (alsterarbeit), Hochschule für bildende Künste HFBK, Hochschule für Musik und Theater, Hamburger Konservatorium, Drake Music, The Drake Music Project Northern Ireland